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1. Anlass und Kontext

Im „Tagesanbruch“-Newsletter von t-online (Juli 2025) bemüht sich der Chefredakteur Harms um eine moralisch engagierte Aufarbeitung des Srebrenica-Massakers – nutzt diesen Anlass aber, um eine politisch aufgeladene und hochproblematische Parallele zur Lage im Gazastreifen zu ziehen. Diese Erzählung ist nicht nur historisch fragwürdig, sondern enthält auch gefährliche antijüdische Denkmuster.


2. Relativierung des Holocaust

Die Aussage:
„Die deutsche Schuld am Holocaust darf keine Ausrede sein, die Verbrechen der israelischen Regierung zu decken“
stellt eine gefährliche Verschiebung dar:

  • Sie unterstellt, Deutschland schweige nicht aus diplomatischer, sondern aus schuldbedingter „Ausrede“.
  • Damit wird das Gedenken an den Holocaust funktionalisiert – nicht zur Mahnung, sondern zur moralischen Erpressung.
  • Der Holocaust wird so zu einem bloßen Instrument politischer Kritik – eine Form impliziter Relativierung.

3. Dämonisierung Israels

Israel wird durchgehend als alleiniger Aggressor dargestellt:

  • „Kriegsverbrechen“, „ethnische Säuberungen“, „Zigtausende Zivilisten“, „Kinder verstümmelt“, „Babys verhungern“.
  • Die Hamas wird nur in einem Halbsatz erwähnt – ohne Benennung ihrer Taten wie Raketenangriffe, Terror-Tunnel, Geiselnahmen oder Menschenabschirmung mit Zivilisten.
    → Diese Darstellung erfüllt das Muster der doppelten Standards – ein zentrales Kriterium für israelbezogenen Antisemitismus (vgl. IHRA-Definition).

4. Anspielungen auf klassische antisemitische Tropen

  • Die wiederholte Schuldzuweisung an „Deutschland“, das angeblich „durch Unterlassen mitschuldig“ sei, spielt mit der Vorstellung einer jüdischen Machtverbindung, der sich Staaten nicht zu widersetzen wagen.
  • Die Beschreibung des Leidens der palästinensischen Kinder in Verbindung mit israelischem Handeln weckt Assoziationen an die Ritualmordlegende – in umgekehrter Form, aber mit derselben Bildsprache: unschuldige Kinder als Opfer jüdischer Gewalt.
  • Der Artikel spricht nicht von „israelischer Regierung“, sondern rückt das gesamte Israel in eine Täterrolle – Kollektivschuld ist ein antisemitisches Konzept.

5. Unzulässige Gleichsetzung von Srebrenica und Gaza

  • Srebrenica war ein völkerrechtlich anerkanntes Genozid-Verbrechen – systematisch und geplant.
  • Der Gaza-Krieg ist ein militärischer Konflikt mit einer Terrororganisation, in dem Zivilisten tragischerweise betroffen sind – aber es gibt keine belegte Absicht der Vernichtung eines Volkes.
    → Die Gleichsetzung trivialisiert das Massaker von Srebrenica und stigmatisiert Israel als Völkermörder, was objektiv unwahr ist und emotional aufwiegelt.

6. Umdeutung der Verantwortung

  • Israel wird für den Krieg verantwortlich gemacht, obwohl der Auslöser (Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023) im Artikel komplett ausgeblendet wird.
  • Dies ist Geschichtsrevisionismus: die Faktenlage wird selektiv manipuliert, um ein verzerrtes Bild zu zeichnen.
  • Der Text verschweigt bewusst, dass die Hamas selbst die Bevölkerung Gazas gefährdet – durch Tunnel unter Krankenhäusern, Raketen aus Wohngebieten, gezielte Eskalation.

7. Fazit: Der Text reproduziert modernen Antisemitismus

Unter dem Deckmantel humanitärer Besorgnis wird einseitig, verzerrt und hoch emotional gegen den jüdischen Staat polemisiert. Das geschieht:

  • durch historische Verzerrung
  • durch Dämonisierung
  • durch Relativierung des Holocaust
  • durch Auslassung von Kontext
  • durch moralische Schuldumkehr

Das Resultat ist kein Aufruf zu Frieden, sondern ein gefährlicher Beitrag zur antisemitischen Stimmungsmache.


8. Forderung

  • Eine journalistisch verantwortliche Debatte über den Nahostkonflikt muss auf Differenzierung, Kontextualisierung und Fakten beruhen. Diese Darstellungen müssen Konsequenzen für Harms haben.
  • Der Holocaust darf nie als rhetorische Waffe gegen Jüdinnen und Juden – auch nicht in Staatsform – instrumentalisiert werden.

t-online sollte diesen Artikel überdenken, transparent einordnen oder durch ein kritisches Leserforum reflektieren lassen.

Gastautor: Jo-Achim Hamburger (Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg K.d.ö.R.)